EvangelischeEv. Kirche in Ennepetal, Gevelsberg, Haßlinghausen, und Schwelm

Gerechtigkeit

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Kinder sagen oft spontan „Das ist doch ungerecht!“ Und die Kinder sind sich ganz sicher: So, wie ich es empfinde, so entspricht es der Wirklichkeit.

Ist das so einfach? Ich möchte Sie mitnehmen in verschiedene Situationen.

 

Helmut Kirsch ist Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Gevelsberg

  

 

Einer meiner Mitschüler hatte überhaupt keinen Zugang zu Latein. Alles in ihm wehrte sich gegen dieses Fach. Alle anderen Noten waren gut bis überdurchschnittlich. Wir hatten einen menschlichen Lateinlehrer. Der baute ihm goldene Brücken: „Melde dich ein paar Mal im Unterricht, dann kann ich dich von einer Sechs auf eine Fünf heben, dann wirst du versetzt.“

Andere hatten sich abgemüht, aber die tote Sprache ging nicht in ihren Kopf. Mit viel Mühe, viel Fleiß rackerten sie sich vor jeder Arbeit ab, um eine Vier zu schaffen. Zu viele Fehler – es wurde stets eine Fünf. Der leicht arrogante Jüngling mit lockigen Haar und die fleißigen Artigen bekamen dieselbe Note. War das gerecht?

  

Rainer Schmidt, der Pfarrer, der ohne Arme und mit einem verkrüppelten Bein geboren wurde, nahm am Sportunterricht teil. Als stark behinderter Schüler erreichte er bei einem Lauf für seine Sportnote mit großem Einsatz das Ziel. Die Zeit? Nach schulischen Maßstäben nicht einmal eine Fünf. Also gab der Lehrer ihm eine Sechs. Rainer Schmidt fragte nach: „Für mich war das eine neue persönliche Bestzeit, eigentlich eine Eins. Wie sehen Sie das?“

   

Chancengleichheit in der Schule. Wie sehen die Chancen für die Kinder aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis aus, die aus intaktem Elternhaus kommen, in dem mindestens eins der Elternteile eine gesicherte Arbeitsstelle mit gutem Einkommen hat? Welche Chancen haben die Kinder, die in sozialen Brennpunkten wohnen, in deren Familien ganz vieles nicht funktioniert?

   

Die Lokführer streiken. Ist das angemessen gegenüber den vielen Bahnkunden, die schon wieder Nachteile in Kauf nehmen müssen? Oder: Ist es nicht Sache der Deutschen Bahn, auf vielleicht berechtigte Forderungen einzugehen?

  

In Nepal gab es ein Erdbeben. Für die Touristen wurde schnell gesorgt, für diejenigen, die in diesem Land weiter leben müssen, dauert es etwas länger.

  

Die Flüchtlinge, die sich so viel von Europa versprechen: Welche Chancen haben sie in ihrem eigenen Land, ob politisch oder wirtschaftlich gesehen?

 

Es fällt uns, auch mir, schwer, allein schon im Nahbereich gerecht zu sein. Wieviel schwerer ist es für uns, die Lebensumstände anderer Menschen, denen ich gar nicht so nah komme, zu beurteilen?

Es ist deutlich, warum das Volk Israel einen neuen König erwartet hat, einen, der gerecht sein würde. Es ist gut, wenn wir Gott um die Gerechtigkeit bitten, die wir nicht zustande bekommen, selbst wenn wir uns bemühen.

   

Ihr Pastor Helmut Kirsch