EvangelischeEv. Kirche in Ennepetal, Gevelsberg, Haßlinghausen, und Schwelm

Eingeschränkt

Liebe Leser:in,

fühlen Sie sich derzeit eingeschränkt? Oder sind Sie es sogar?

Eingeschränkt sind zum Beispiel Rollstuhlfahrer:innen. Es ist noch nicht alles barrierefrei.

 

Nele Kaiser ist Pfarrerin in der Ev. Kirchengemeinde Milspe-Rüggeberg

Eingeschränkt sind alte Menschen im Pflegeheim oder kranke Menschen, gerade jetzt im Helios. Viele sind ans Bett gebunden, können nicht aufstehen, manche nicht mal selbstständig auf die Toilette gehen. Kranke Menschen haben das eigene zumeist sichere Zuhause verlassen müssen, um sich ein Zimmer mit anderen Menschen zu teilen und viel Privatsphäre aufzugeben.  Jetzt kommt durch Covid-19 noch hinzu, dass diese Menschen keinen Besuch erwarten können. Und gerade in diesen Zeiten tut es gut, jemanden bei sich zu haben, den man kennt und mag und dem man vertraut.

Eingeschränkt sind wir alle gerade. Wegen Corona. Kein normaler Urlaub, wenn überhaupt Urlaub angebracht ist und geht. Kein Klopapier für mich, weil die Menschen wieder angefangen haben zu hamstern. Keine großen Feiern. Gerade noch kam eine Absage einer Taufe rein. Wie viele Hochzeiten sind dieses Jahr ausgefallen? Beerdigungen im großen Kreis sind undenkbar.

Eingeschränkt sind Menschen mit Vorerkrankungen, sie müssen sich noch mehr isolieren und auf sich aufpassen als sowieso schon. Eingeschränkt sind diejenigen, die ihre Berufe nicht mehr (wie gewohnt) ausführen können.

Irgendwie spüren doch viele von uns Einschränkungen. Als freiheitsliebende Menschen und als Menschen, die gewohnt sind, freie Entscheidungen treffen zu können, fühlt sich vieles momentan einengend und begrenzend an. Aber Freiheit ist nicht nur meine eigene Freiheit.

Als Christ:innen sind wir zur Freiheit berufen, wie es im Galaterbrief im 5. Kapitel heißt: 13 Brüder und Schwestern, ihr seid zur Freiheit berufen! Allerdings nicht zu einer Freiheit, die nur den Vorwand liefert für eure irdische Gesinnung. Dient euch vielmehr gegenseitig in Liebe. 14 Denn das ganze Gesetz ist erfüllt, wenn ein einziges Gebot befolgt wird. Nämlich folgendes: »Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!«

Zur Freiheit berufen heißt: Wir haben eine hohe Verantwortung für ein freies Leben. Ein Leben, wie wir es uns wünschen (Selbstverwirklichung), aber auch: Ein Leben in Freiheit, das wir anderen zugestehen müssen (Rücksicht). Immanuel Kant (1724-1804) hat viel zum heutigen Freiheitsbegriff beigetragen. Er formulierte Folgendes: "Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt." Deshalb „[h]andle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“. Es gibt also eine individuelle und eine kollektive Freiheit.

Ich kann aus meiner christlichen Perspektive voller Überzeugung unterstützen, was im Galaterbrief geschrieben ist: „Dient euch vielmehr gegenseitig in Liebe.“ Beim Dienen stehe nämlich niemals ICH im Mittelpunkt, sondern stets der andere Mensch. Der Rollifahrer, die kranke Frau im Helios, die Tauffamilie, die Trauergemeinde. Deshalb auch der Appell an uns alle, sich an die Regeln zu halten, wenn schon nicht für mich selbst, dann doch zumindest für alle anderen Menschen aus Liebe und Respekt vor der Freiheit. Amen.

 

Ihre

Nele Kaiser