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Ist unser Erntedank gleich Gott sei Dank?

Das Erntedankfest erfreut sich auch im nachchristlichen Abendland mit seiner spätindustriellen Gesellschaft immer noch größerer Popularität als die christlichen Hauptfeste Ostern und Pfingsten. Es ist einfach anschaulicher. Der Erfolg der Ernte ist sichtbarer und messbarer als der Heilige Geist oder die Auferstehung. Den Apfel kann man meist noch schmecken, den Heiligen Geist hingegen nie. Weshalb ist das Erntedankfest nach wie vor so beliebt, selbst in den Städten? Es lebt doch nur noch eine kleine Minderheit von uns heute noch unmittelbar von der Hand in den Mund durch die Landwirtschaft.

 

Während Jesu in seinem bäuerlichen Umfeld noch von Senfkörnern, Weingärten, Weinstöcken, Sämännern und Weizen predigte, kreiste eines Tages im Altarraum meiner Bottroper Heimatgemeinde um den Erntedankkürbis unaufhörlich eine Modelleisenbahn. Sie wird dabei in einer Stunde Gottesdienst etwa zwanzigmal so viele Runden gedreht haben wie damals noch Niki Lauda auf dem Nürburgring und das zudem noch unfallfrei. Mein Konfirmationspfarrer hatte es gut gemeint. Noch vom Wirtschaftswunder herkommend wollte er in einer Industriestadt auch für die Gaben der Technik danken. Insbesondere die Großstadtkinder und -jugendlichen sollten so einen besseren Zugang zu Gott erhalten. Die Modelleisenbahn kreiste zu Ehren der gleichen Konfirmanden und -innen um den Kürbis, die ansonsten noch Lehrformeln des agrarisch geprägten Katechismus unverdaut wiederkäuten wie "Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter."

 

Was feiern wir da, wenn wir in einer Gesellschaft, die keine Agrargesellschaft mehr ist, Erntedank feiern?

Die Frage muss noch schärfer formuliert werden: Nicht "was" feiern wir da, sondern "wen" feiern wir da? Feiern wir Gott den Schöpfer? Oder feiern wir uns selbst mit den Errungenschaften der modernen Zivilisation - ewig um uns selbst kreisend wie die Eisenbahn um den Kürbis? Der chemiebehandelte Apfel und die technisierte und genetisch manipulierten Landwirtschaft lassen sogar Magd und Knecht im 10. Gebot nostalgisch erscheinen. Im Sinne der Menschheit versteht sich, in deren Dienst Technik, Wissenschaften und Wachstum vermeintlich stehen. Wirklich? Die höheren Erträge sollen die Menschheit satter machen, statistisch ist aber die Zahl der Hungernden in der Welt gewachsen.

 

Feiern wir also "Ernte" ohne Gott? Feiern wir "Ertrag" wie heute die Börsianer und noch vor kurzem die Fünfjahresplaner?

Feiern wir das Wachstum der Natur oder starren wir auf die Zahlen des Wirtschaftswachstums?

Noch einmal: Feiern wir nur "Ernte" oder wirklich "Ernte-Dank", weil unser Dank eine Adresse braucht?

Dank setzt nämlich jemanden voraus, dem man dankbar sein kann. Das wiederum provoziert die wenig schmeichelhafte Erkenntnis, dass die Menschheit nicht alles aus eigener Kraft erreichen kann. Feiern wir Menschenwerk oder Gottes Werk?

 

Wenn wir wirklich nicht uns selbst, sondern Gott feiern, dann kann man gerade vom Erntedank soviel lernen. Ob Kürbis, Getreide oder Mensch - ist es nicht ein Wunder, wie aus ein oder zwei Zellen ein ganzer Organismus wird? Wieso also dann sind die einen Wunder verständlich, andere wie die Auferstehung aber werden nicht mehr von vielen geglaubt?

 

Das ganze menschliche Leben bewegt sich mit Wachsen wie im Frühling, Reifen wie im Sommer, Altern wir im Herbst und Sterben wie im Winter dem Rhythmus der vier Jahreszeiten gleich, nur dass es länger dauert. Unsere Sprache hat davon eine Ahnung in uns bewahrt.

 

Und schließlich darf man sogar am Ende von einer Lebens-Ernte sprechen. Auch hier verrät und unsere Sprache: Wenn Menschen so oft von ihrem Lebens-Werk sprechen, dann loben sie sich selbst und achten eifersüchtig darauf, dass ihr Werk, ihrer Hände Arbeit, Bestand hat. Aber gerade davon loslassen zu können und sich in die Hände des Schöpfers zurückzubegeben lässt mich von einer Lebens-Ernte sprechen. Die Ernte wächst nämlich nur unter der Mitwirkung Gottes.

 

Auch wenn der Text nur gute hundert Jahre jünger ist als der Kleine Katechismus Luthers sei nicht nur im Paul-Gerhardt-Jahr

an das Ende des beliebten Liedes "Geh aus mein Herz" erinnert. Hier wird von einer Lebens-Ernte gesungen und nicht von menschlichen Lebens-Werk. Zumindest weiß Paul Gerhardt, dass wir auch im Lebenswerk alle Ernte Gottes Gnade und nicht uns selbst verdanken.

 

Zitat gefällig? Ich lese im Evangelischen Gesangbuch, Ausgabe Rheinland und Westfalen, Lied 503,13-15:

13. Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt, dass ich dir stetig blühe; gib, dass der Sommer deiner Gnad in meiner Seele früh und spat viel Glaubensfrüchte ziehe.,

14. Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd ein guter Baum, und lass mich Wurzel treiben. Verleihe, dass zu deinem Ruhm ich deines Gartens schöne Blum und Pflanze möge bleiben.

15. Erwähle mich zum Paradeis und lass mich bis zur letzten Reis an Leib und Seele grünen, so will ich dir und deiner Ehr

allein und sonsten keinem mehr hier und dort ewig dienen.

 

Ist es Zufall oder nicht, dass uns die ersten Strophen dieses Liedes geläufiger sind als die letzten? Wenn Sie die Andacht verstanden haben, dann sind Sie am Zug zu antworten: Und zwar a) auf diese Frage und b) in Paul Gerhardts Sinne mit ihrem Leben.

 

Dirk Küsgen